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Mehr, mehr, mehr: Wenn der regelmäßige Konsum von Drogen und Alkohol das Belohnungszentrum des Gehirns dauerhaft verändert hat, wird es schwer, der Sucht nach den großen Gefühlen zu widerstehen!

Das Wichtigste in Kürze

  •  Sucht ist eine Krankheit und keine Persönlichkeitsschwäche. Sie ist eines der größten Risiken für Arbeitsunfähigkeit und verfrühten Tod.
  •  Menschen mit einer Abhängigkeit verspüren einen starken Drang nach einer Substanz oder einem bestimmten Verhalten. Sie verlieren oftmals die Kontrolle über ihr Leben und schädigen sich und meist auch andere.
  •  Bei Suchtkranken ist das Belohnungszentrum im Gehirn verändert. Nur mit der Droge können sie überhaupt noch Glücksgefühle erleben.
  •  Trotz hoher Rückfallquoten kann eine Therapie die Krankheit dauerhaft heilen. Doch nur sehr wenige Betroffen nehmen entsprechende Hilfsangebote an.
  •  Suchtmediziner wollen herausfinden, was die Gründe dafür sind, dass manche die Krankheit überwinden und andere nicht.

Zu tolerant

Sucht ist schädlich

Für Spanagel besteht eine behandlungsbedürftige Suchterkrankung in erster Linie darin, dass der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit Dinge tut, die für seine Gesundheit und sein soziales und berufliches Umfeld schädlich sind. Viele verlieren beispielsweise ihre Arbeit, haben massive familiäre Probleme und sterben im Mittel früher als Gesunde. Allerdings ist es schwierig, den zunehmend häufigen Genuss von einer Suchterkrankung abzugrenzen ▸  Vom Genuss zur Sucht. „Auch Experten sind sich da nicht immer einig“, wie der Suchtmediziner Wolfgang Sommer, Kollege Spanagels am ZI, anmerkt. Er erinnert daran, dass etliche Menschen in bestimmten Phasen ihres Lebens die Kriterien für eine Suchterkrankung erfüllen würden. Man denke beispielsweise an Studenten, die sich teilweise mehrmals die Woche betrinken. Sobald sie aber arbeiten und vielleicht eine Familie haben, normalisiert sich der Alkoholkonsum bei den meisten wieder ohne weitere Hilfe

Kritisches Verhalten

Besonders schwierig ist die Beurteilung bei einer besonderen Form der Abhängigkeit: der Verhaltenssucht. Seit dem Jahr 2019 erkennt die WHO zwei bestimmte Varianten davon, die „Glücksspielsucht“ sowie die „Computerspielsucht“, als eigenständige psychische Störungen an. Ähnlich wie Drogenabhängige, die immer wieder eine Substanz konsumieren, üben Betroffene ein bestimmtes Verhalten nahezu zwanghaft aus, trotz der schädlichen Folgen für Gesundheit und soziales Umfeld. Weitere Verhaltenssüchte, wie zum Beispiel Sport-, Kauf- oder Sexsucht werden zwar gelegentlich von Medizinern beschrieben, sind jedoch nicht als eigenständige psychische Störung definiert. Das sei auch sinnvoll, denn: „Nicht alles was Menschen leidenschaftlich tun, ist gleich eine Sucht“, meint Andreas Heinz, Suchtmediziner an der Charité Berlin.

Bei der Verhaltenssucht ist die Gewöhnung an die „Droge“ und eine etwaige Entzugssymptomatik in der Regel schwächer ausgeprägt als bei vielen Substanzsüchten. „Das liegt daran, dass ein Verhalten den Körper nicht in dem Maße beeinflussen kann, wie es beruhigende Drogen vermögen“, erklärt Heinz. So ist bei Alkohol- oder Opiatabhängigen während des Entzugs das Gehirn permanent überreizt, weil der zuvor beruhigende Einfluss der Droge fehlt. Allerdings zeigen auch Verhaltenssüchtige ansatzweise Entzugserscheinungen wie Zittern und Schwitzen. Überraschender ist noch, dass sich bei Verhaltenssüchtigen bestimmte Gehirnareale, die mit Suchtverhalten, speziell dem Craving, assoziiert sind, auf ähnliche Art und Weise verändern, wie man es von Drogensüchtigen kennt. Sehen zum Beispiel Betroffene ihre „Droge“ – sei es eine Bierflasche, eine Linie Kokain oder ein Computerspiel – weisen sie gleichartige neuronale Aktivitätsmuster auf. „Das, was das Suchtverhalten letztlich ausmacht, geht also offenbar auf gleiche oder zumindest ähnliche Veränderungen im Gehirn zurück“, so Spanagel. Und dies, obwohl die verschiedenen Drogen teilweise völlig unterschiedlich auf den Körper wirken. Selbst beim Entzug gibt es Hinweise darauf, dass Betroffene ähnliche Zustände durchleben, die auf eine ganz bestimmte Dynamik im Gehirn zurückzuführen sind. Das kann dann je nach Phase des Entzugs zu negativer Stimmung sowie Rückzug führen, oder zu impulsiven Reaktionen und Craving.

Therapien gegen die Versuchung

Die gute Nachricht: Wie bei anderen psychischen Störungen auch, können es viele der Betroffenen schaffen, ihre Suchterkrankung zu überwinden. Präventionsbemühungen und Behandlungsansätze gegen Abhängigkeit sind in der Regel ebenso erfolgreich, wie bei anderen psychischen Störungen: Bei einer sachgerechten Therapie ist beispielsweise die Hälfte aller Alkoholabhängigen ein Jahr nach der Entgiftung noch trocken. Die schlechte Nachricht: Die Rückfallquoten sind hoch., und die psycho- und pharmakologischen Angebote erreichen nur etwa 10 Prozent der Betroffenen.

Ein zentraler Bestandteil der Behandlung ist die Psychotherapie. Die Patienten lernen hier, ihre Selbstkontrolle zu verbessern und Probleme und schwierige Situationen auf eine andere Art als durch den Rausch zu bewältigen. Dafür bekommen sie bestimmte Verhaltensstrategien an die Hand. Um die Lücke zu füllen, die durch eine Abstinenz entsteht, versuchen Patienten gemeinsam mit dem Therapeuten ihr Leben zu ordnen und neue Inhalte zu finden. Auch die Ursachen der Sucht zu erkennen, kann helfen die Erkrankung zu überwinden. Oftmals sind belastende Situationen in der Familie oder auf der Arbeit und der damit einhergehende psychische Stress der Auslöser ▸  Der Schluck gegen den Druck. Zusätzlich versuchen Forscher, pharmakologische Ansätze gegen die Abhängigkeit zu entwickeln. „Es gibt bereits Medikamente für die Behandlung der Alkoholsucht, die aber nur bei etwa jedem zehnten Betroffenen wirken“, berichtet Sommer. Ähnliche Quoten weisen auch die meisten Psychopharmaka bei anderen Erkrankungen auf. Weshalb aber nur so wenige Patienten auf die Mittel ansprechen, sei bislang nicht klar. Das gelte es in Zukunft herauszufinden.

Die dauerhafte Abstinenz ist bei einer Suchterkrankung eher die Ausnahme als die Regel. Bei Substanzabhängigen liegt die Rückfallquote innerhalb eines Jahres nach der Therapie zwischen rund 60 und 80 Prozent. Sommer ist jedoch überzeugt, dass sich die Lebensqualität nach einer absolvierten Therapie bei einem viel größeren Anteil der Patienten verbessere, auch wenn sie nicht völlig abstinent seien. Für ihn ist daher auch ein kontrollierter Konsum ein Erfolg und daher gelte: „Es lohnt sich immer, Zeit in eine Therapie zu investieren.“ Ein Problem ist jedoch, dass sich Betroffene vergleichsweise selten professionelle Hilfe holen. „Das liegt in vielen Fällen an der hohen Stigmatisierung der Erkrankung “, denkt Spanagel. Suchtkranke würden versuchen, ihre Krankheit zu vertuschen und nähmen entweder gar keine entsprechende Hilfe an oder zu spät. „Hinzu kommt, dass qualifizierte Therapieplätze nicht ausreichend vorhanden sind.“ Dennoch sei in der Literatur die Behandlungslücke– man spricht von rund 80 Prozent nicht behandelter Fälle – überbewertet, glaubt Spanagel.

Quelle Blogbeitrag: https://www.dasgehirn.info/