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Wer an einer Suchterkrankung leidet, dessen Gehirn hat sich verändert. Sein Belohnungssystem folgt nicht mehr dem evolutionär durchaus sinnvollen Zweck, sondern wurde zweckentfremdet: Es hat die Sucht gelernt.

Das Wichtigste in Kürze
  •  Sucht ist ein Lernprozess
  •  In mehreren Schritten gewöhnt sich das Gehirn immer stärker an das Suchtmittel
  •  Eine wichtige Rolle spielen Vernetzungen zwischen dem präfrontalen Cortex und dem dopaminergen, mesolimbischen System
  •  Die Hirnregionen beeinflussen sich dabei mittels so genannter Top-Down-Hemmung oder Bottom-Up-Prozessen
  •  Umkehren lassen sich diese Prozesse kaum
  •  Die Suchttherapie arbeitet mit Ansätzen, neue Dinge zu erlernen, die die vorhandenen Prozesse bei Suchtkranken in den Hintergrund treten lassen

LERNEN

Lernen, sich anstrengen, arbeiten – was uns antreibt, ist unser ständiges Verlangen nach Belohnung: Durch eine gute Note, ein höheres Gehalt oder mehr Anerkennung. Auslöser dafür ist unser Belohnungssystem. Entwickelt hat es sich, um uns zur Selbsterhaltung und zur Erhaltung der Art zu motivieren, indem wir Nahrung suchen und uns fortpflanzen. Doch uns moderne Menschen führt das Belohnungssystem auch dazu, dass wir von manchen Dingen gar nicht genug bekommen können.

Besonders gefährlich wird es, wenn Menschen eine Art Abkürzung auf dem Weg zur neuronalen Belohnung nehmen: über Zigaretten, Alkohol oder eine Dosis Kokain – also jegliche Art von Drogen. Drogen wirken durch unterschiedliche Mechanismen und auf verschiedene Rezeptoren im Gehirn. Gemein ist aber allen, dass sie das Belohnungssystem mithilfe des Botenstoffs Dopamin aktivieren. Und das deutlich stärker, als alle natürlichen Belohnungen, die wir kennen. Amphetamine beispielsweise setzen bei Versuchstieren zehnmal mehr Dopamin frei als Nahrungsaufnahme oder Sex. Alkohol, Glücksspiel oder Cannabis kommen auf immerhin doppelt so viel.

Die Sucht als Lernprozess

Doch das Schlimme: Das Gehirn merkt sich, welche Stoffe zu einer besonderen Belohnung geführt haben. Das Verlangen nach den belohnenden Substanzen wird dadurch stärker, komplexe neuronale Anpassungsprozesse setzen ein und diese Adaptation verändert das Gehirn nachhaltig. Die enge Interaktion von Reizverarbeitung, Kognition, Gedächtnis und Emotion bedingen so ein Suchtverhalten, das nach und nach erlernt wird und schließlich in ein nahezu automatisiertes Handlungsmuster mündet.

Professor Falk Kiefer forscht an der Universität Heidelberg zur Neurobiologie der Sucht und leitet die Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim (ZI). Er vergleicht das Suchtverhalten gerne mit den Eigenschaften eines Klavierspielers, der ganz intuitiv auf ein vor ihm liegendes Notenblatt mit Empfindungen und Fingerbewegungen reagiert, ohne dies bewusst zu steuern. „Suchtverhalten kann auch nach langer Abstinenz abgerufen werden, so wie auch ein Klavierspieler trotz jahrelanger Pause nicht neu lernen muss, sondern an die gelernten Fähigkeiten anknüpft“, erklärt der Forscher.

Die Macht der Gewohnheit

Auf dem Weg zur Sucht sind mehrere Schritte besonders bedeutsam. Zunächst kommt es zu einer Gewöhnung an das durch die Substanzen ausgelöste Gefühl der Leichtigkeit und Euphorie. Diese Gewöhnung wird im Fachjargon als Habituation bezeichnet. Gleichzeitig wird der Suchtkranke immer sensibler für Reize, die mit der Aufnahme des Suchtstoffes in Verbindung stehen, zum Beispiel der Anblick eines Bierglases. Immer wird er an das schöne Gefühl bei Konsum der Droge erinnert und möchte dem Verlangen nach der Substanz nachgeben, was als Sensitivierung (Habit-Bildung) bezeichnet wird. Da gleichzeitig eine Toleranzentwicklung einsetzt, reicht dem Suchtkranken die letztmalige Dosis nicht mehr aus, um das gleiche Gefühl zu entwickeln – und er muss immer mehr konsumieren.

Neurowissenschaftlerin Sabine Vollstädt-Klein forscht am ZI an den Veränderungen im Gehirn, die bei diesem Prozess auftreten: Entscheidend für die Ausbildung einer Suchterkrankung ist das Zusammenspiel von Netzwerken des präfrontalen Cortex mit denen des dopaminergen mesolimbischen Systems. „Mesolimbisch“ beschreibt dabei die Position der Protagonisten des Belohnungssystems: Im Mittelhirn, dem Mesencephalon, findet sich das ventrale tegmentale Areal (VTA), dessen Neurone ihre dopaminerge Botschaft über lange Faserzüge an andere Regionen des Gehirns senden. Allen voran den Nucleus accumbens, der von seiner Funktion her oft zum limbischen System gezählt wird, das viele wichtige Strukturen umfasst, die bei Gedächtnisprozessen und Emotionen eine tragende Rolle spielen. Manche Anatomen sehen auch Teile des präfrontalen Cortex als zum limbischen System gehörig – und auch dort finden sich direkte Eingänge aus dem ventralen Tegmentum.